In den zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts ließ die Stadt Ulm die Fenster des Ratssaales mit einem Zyklus der elf Kur fürsten schmücken. Diese Würdenträger - drei geistliche und vier weltliche - wählten seit der Mitte des 14. Jahrhunderts den deutschen König. In reichsfreien Städten wie Ulm betonten Kurfürstenzyklen an öffentlichen Gebäuden die politische Stellung der Stadt.
Seit 1914 befinden sich die Figuren im Museum. Am Rathaus sind sie durch Repliken ersetzt. Die ursprüngliche Farbigkeit ist bis auf wenige Spuren verloren.
Sechs der sieben Kurfürstenfiguren, der Markgraf von Brandenburg, der Herzog von Sachsen, der Pfalzgraf bei Rhein und die Erzbischöfe von Köln, Trier und Mainz, waren auf der Südseite des Rathauses rechts und links der drei Fenster angeordnet. Den inhaltlichen und ästhetischen Höhepunkt bildeten die beiden Ostfenster, die auch archi tektonisch aufwendiger gestaltet sind. Im Zentrum steht Karl der Große. Ihn flankieren zwei junge Schildknappen mit einem Phantasiewappen des Kaisers und dem Wappen des deutsch-römischen Reiches. Rechts folgt der siebte Kurfürst, der König von Böhmen. Die Figur des Königs von Ungarn auf der linken Seite gehört nicht in einen Kurfürstenzyklus, doch stellte sie einen Bezug zur politischen Situation der 1420er Jahre her: Der damals herrschende deutsche König, Sigismund von Luxemburg, war gleich zeitig Herrscher von Ungarn und trug seit 1420 auch die Krone Böhmens.
Die Kurfürsten des Südfensters, die mit dem am Münster tätigen Meister Hartmann in Verbindung gebracht werden, folgen einer älteren stilistischen Tradition, die auch bei vielen Figuren an der Westfassade des Münsters erkennbar ist. Die Skulpturen des Ostfensters hingegen sind Werke des Bildhauers Hans Multscher, der sich seit 1427 in der Stadt niedergelassen hatte. Ihre realistische Gestaltung, vor allem die lebendigen Gesichter, begründeten einen neuen künstlerischen Anspruch in der Reichsstadt.